RIESENBECK. Historiker haben einen Fachbegriff für das, was sich in diesen Wochen im St. Elisabeth Haus in Riesenbeck vollzieht. „Oral history“ – erzählte Geschichte nennen Fachleute es, wenn Menschen aus ihrem Leben erzählen und ihre Berichte für die Nachwelt aufgezeichnet werden. Genau darum kümmern sich mit Ulla Weers und Reinhard Bamming zwei Ehrenamtliche in der Senioreneinrichtung der Caritas-Altenhilfe Tecklenburger Land.
Regelmäßig besuchen die beiden Frauen und Männer im St. Elisabeth Haus und schreiben auf, was die Senioren aus ihrem Leben zu berichten haben. „Jeder Mensch hier hat aus der Biographie heraus Geschichte erlebt“, sagt Haus- und Pflegedienstleiter Marco Greßler. „Wenn wir diese Geschichte nicht aufschreiben, geht sie irgendwann verloren.“ Die Idee, Ehrenamtliche für diese Aufgabe zu begeistern, kam von den Mitarbeitern des Hauses. Inzwischen haben sieben Senioren an dem Projekt mitgewirkt.
Für Ulla Weers und Reinhard Bamming war es keine Frage, sich auf den Aufruf zu melden. Während Reinhard Bamming schon länger unter anderem Pressetexte verfasst, kam Ulla Weers erst durch dieses Ehrenamt zum Schreiben. Schon von ihrem ersten Treffen mit Hausbewohner Walter Brüggemann war sie begeistert. „Er hat mir so viel erzählt – ich komme gar nicht los von ihm“, sagt Ulla Weers mit einem Lächeln. Im Jahr 1923 geboren, hat Walter Brüggemann als junger Soldat im Zweiten Weltkrieg gekämpft. Den Krieg, die Zeit des Wiederaufbaus, die Entwicklung seiner Heimat – all das beschäftigt ihn und er berichtet gerne darüber.
Für Reinhard Bamming und Ulla Weers ist es wichtig, unvoreingenommen und wertfrei das Erinnerte aufzuschreiben. „Ich war natürlich in der Hitlerjugend“, sagt Walter Brüggemann. „Ich bin gerne in die Sommerlager gefahren. Ich dachte, das war ein sportliches Ferienlager. Erst hinterher wurde uns klar, dass das eine vormilitärische Ausbildung war“, sagt er heute.
Lisa Oechtering hat Reinhard Bamming schon viel aus ihrem Leben berichtet. „Der Text hat mir schon was gebracht“, erzählt die alte Dame und lacht. Eigentlich sei sie wunschlos glücklich, hatte sie ihrem Zuhörer erzählt. Gern aber hätte sie einen eigenen Kühlschrank in ihrem Zimmer. „Den habe ich jetzt“, sagt sie. Denn als ein Verwandter die Aufzeichnungen gelesen hat, erklärte er sich sofort bereit, das gewünschte Gerät zu beschaffen. Reinhard Bamming hat eine Idee für seine zukünftigen Gespräche. „Ich möchte danach fragen, was den Menschen in ihrem Leben wirklich wichtig war.“
Was Ulla Weers und Reinhard Bamming nach den Gesprächen zu Papier bringen, legen sie noch einmal den Senioren vor. Erteilen diese dann ihr Einverständnis, werden die Texte ausgedruckt, laminiert und in einem Ordner – dem Erinnerungsbuch – zusammengefasst. Dieses liegt für alle Bewohner und Gäste des St. Elisabeth Hauses im Foyer aus. Dankbare Leser findet das Erinnerungsbuch zu Genüge, sagt Marco Greßler. „Hier sitzt eigentlich ständig jemand und liest darin.“